Minimalinvasives Vorgehen für maximale Patientenzufriedenheit

Bei notwendiger Entfernung eines Einzelzahns im Frontzahnbereich und weitgehend kariesfreiem Restgebiss ist nach heutigem Wissensstand gewebeschonendes Vorgehen eine notwendige Voraussetzung für den Behandlungserfolg. Dabei gewinnen ästhetische Aspekte immer mehr an Bedeutung.

Gestiegene Ansprüche an die Ästhetik seitens der Patienten hat zu höheren Anforderungen an die Implantologen, Zahntechniker und Prothetiker geführt. Besonders im Frontzahnbereich ist die Maxime, Implantate einer prothetisch orientierten Planung gemäß zu positionieren.2b Hierbei wird das Konzept des „Backward Planning“ berührt. Von einem prothetischen Set-up der Endsituation ausgehend, wird die detaillierte Planung durchgeführt. Sollte sich das Knochenvolumen als insuffizient erweisen, muss es entsprechend augmentiert werden. Garber und Belser nennen als erste Leitlinie „restauration driven implant placement“ und als zweite „implant site development“.2b

Falldarstellung

Die erwähnten Bedingungen an die Ästhetik bei der Implantologie im Frontzahngebiet, Management der Rot-Weiß-Ästhetik und präprothetische Planung versuchen wir durch den hier vorliegende Patientenfall zu veranschaulichen: Eine 42-jährige Patientin stellte sich uns mit Wurzellängsfraktur des linken seitlichen Schneidezahnes vor. Sie ist Nichtraucherin und hatte keine parodontalen Vorschädigungen bei kariesfreiem Restgebiss.

Spezielle Anamnese des Zahnes 22: Der Zahn wies bereits zuvor einen kariösen Defekt auf, welcher primär mit einer Kompositfüllung versehen wurde. Jedoch ergaben sich in der Folgezeit Probleme hinsichtlich einer Undichtigkeit dieser Füllung. Zunächst wurde eine Wurzelbehandlung vorgenommen. Nach weiterem Hartsubstanzverlust wurde er mit einem Stiftkernaufbau versorgt und überkront. Danach kam es allerdings zu verschiedenen Beeinträchtigungen. Bis hier erfolgte die Versorgung der Patientin alio loco.

Aufgrund der Wurzellängsfraktur des Zahnes 22 wurde die Patientin zur Implantation an uns überwiesen. Im ersten Schritt erfolgte die operative Entfernung der Zahnwurzelfragmente. Zusätzlich wurde, gemäß dem Vorgehen von Garber und Belser (1995) in der gleichen Operation ein Weichteilgewebstransplantat zum Verschluss der Extraktionsalveole und zum Volumenerhalt der Gingiva propria sowie des Kieferkamms eingebracht. Dies diente dazu, einen Schleimhautkollaps zu vermeiden und die Knochenstruktur zu stützen, damit später in die entstandene Extraktionsalveole hinein – in eine gut dimensionierte Knochen- und Weichgewebeumgebung – ein Implantat gesetzt werden konnte. In Regio 22 war die labiale Knochenlamelle nicht mehr vollständig erhalten. Daher wurde während der Versorgung der Extraktionsalveole und vor dem Weichgewebeverschluss zur Knochen­augmentation das Ridge-Preservation-Verfahren angewandt, um den Knochenwanddefekt mit Bio-Oss® Collagen und Bio-Gide® (beides Fa. Geistlich, Baden-Baden) aufzufüllen und den verbliebenen Knochen zur Regeneration anzuregen.

Iglhaut (2006) erwähnt eine Studie von Esposito et al. aus dem Jahr 1993, welche die Wichtigkeit der dreidimensionalen Implantatposition auch in Hinsicht auf die Wurzeln der Nachbarzähne herausstellt. Nicht nur dies, sondern auch das Knochenvolumen muss bei der Planung genauestens bestimmt werden, um die Implantation so sicher und stabil wie möglich zu machen. Dies ist ein Grund für die stark gewachsene Bedeutung der 3-D-Diagnostik in der Implantologie. Die präimplantologische Diagnostik erfolgte mittels DVT, einem präzisen Verfahren zur Wiedergabe und Vermessung der anatomischen Strukturen im kraniofazialen Bereich.1 Die implantologische Planung wurde mit der Software „SICAT Implant“ durchgeführt.

Vorgehen im Detail

Im Einzelnen stellte sich der Workflow folgendermaßen dar: Im Anschluss an die Abdrucknahme des Oberkiefers mit Einzelzahnlücke sowie des Gegenkiefers mit Bissnahme wurde im Labor die fehlende Zahnkrone auf dem Modell ersetzt. Dazu wurde ein Wax-up erstellt und ­basierend darauf ein Ersatzzahn aus Kunststoff der Fir-ma Anaxdent (Bariumsulfatbeimischung) angefertigt (Abb. 3). Bariumsulfat ist röntgenopak und diente dazu, die Zahnkrone bzw. den Situs der zukünftigen Krone im DVT sichtbar zu machen. Abgebildet wird in einem DVT die Bariumsulfatkrone in Relation zu den weiteren ­Zähnen und den knöchernen Strukturen, dargestellt als 3-D-Rekonstruktion und/oder Schichtbild (Tomografie). Aus dem Gipsmodell mit modellierter Ersatzkrone wurde eine Schiene aus klarem Autopolymerisat angefertigt (Abb. 4) und diese mit eingearbeiteter Ersatzkrone im Patientenmund angepasst, bis sie perfekt ­passte. Diese Schiene wurde mit der standardisierten Aufbissplatte von SICAT, die als Referenzkörper sechs Glaskugeln enthält, kombiniert und ergab so die Röntgenschablone. Erst jetzt folgte der DVT-Scan. Dies bedeutet, dass schon vor der Bildgebung die Passung der Röntgenschablone kontrolliert wurde. Die Präzision der genauen Planungsübertragung ist durch den gesicherten identischen Sitz ein- und derselben Schablone beim Scan und nach Umarbeitung dieser in die Bohrschablone beim geführten Implantieren von entscheidendem Vorteil. Dies unterstreicht den Aspekt der Sicherheit des sogenannten Backward Plannings, bei dem bereits im Vorfeld determiniert wird, wie die prothetische Versorgung bei Behandlungsende aussehen soll. Nach dem DVT-Scan lag ein 3-D-Datensatz im DICOM-Format vor. DICOM steht für Digital Communications in Medicine und bezeichnet ein portables Daten­format, das von ­verschiedenen Software-Produkten ausgelesen und als anatomische 3-D-Darstellung unter gezielter Hervorhebung bestimmter Gewebe oder anatomischer Strukturen visualisiert werden kann. Der DICOM-Datensatz wurde von der Software SICAT Implant eingelesen. Nun lagen sämtliche relevanten Strukturen (knöcherne Komponenten, Zähne, Nerven, vaskuläre Strukturen) und die vorgefertigte „Prothetik“ als Grundlage für die implantologische Planung vor. Aufgrund der Daten konnte sowohl das Implantat hinsichtlich Länge und Durchmesser gewählt als auch dessen Platzierung im Alveolarknochen unter Beachtung des interradikulären Abstandes und des sagittalen ­Knochenangebotes vorgenommen werden (Abb. 5). ­Bezüglich des Implantatsystems fiel die Entscheidung auf das Biomet 3i-System. Das Implantat wurde in den ­Dimensionen 3,25mm Durchmesser und 11,5mm Länge gewählt. Als Bohrer­system kam das Navigator®-System von Biomet 3i zum ­Einsatz. Diese Planungsdaten wurden (Implantattypus, ­Positionierung) digital auf CD gebrannt und mit der Röntgenschablone samt Modelle an die Firma SICAT (Bonn) geschickt. Dort wurde die Röntgenschablone in eine Bohrschablone umgearbeitet, eine Masterhülse eingesetzt und an uns zurückgesendet (Abb. 6).

Der Implantationssitus mit dem krestalen Knochen wurde unter Darstellung eines Defektes freigelegt. Zur Pilotbohrung wurde die Bohrschablone im Oberkiefer eingesetzt und ein Handle (Reduktionshülse mit Griff) aus dem Navigator®-Kit in die Masterhülse der Bohrschablone eingeführt, um den Durchmesser entsprechend dem vorgegebenen Protokoll zu reduzieren (Abb. 7). Die Bohrung erfolgte in zwei Schritten: zunächst die erwähnte Pilotbohrung mit einem Starterbohrer (2mm Durchmesser) und anschließend die eigentliche Bohrung mit einem 2,75-mm-Bohrer mit Tiefenstopp (Abb. 8) und ebenfalls mit dem dazugehö­rigen durchmesser­reduzierenden Handle. Dies gewährleistete eine präzise Führung bei der Bohrung. Um Materialabrieb an der Hülse zu vermeiden, verfügen die Bohrer über einen nach innen ver­legten, schneidenden Anteil. Mit einem Screw Tap (Gewindeschneider) wurde – direkt durch die Masterhülse der Bohrschablone, d.h. ohne Handle – ein Gewinde geschnitten (Abb. 9). Der Screw Tap verfügte, anders als die Bohrer, nicht über einen Tiefenstopp, sondern über eine Skalierung zur ­Tiefenkontrolle. Das Implantat wur-de mit einem Einbringpfosten verschraubt und damit durch die Masterhülse bis zum Tiefenstopp der digitalen Planung entsprechend subkrestal in die Knochenkavität eingedreht (Abb. 10). Wichtig waren Positionierungsrillen an der Masterhülse, um über den Einbringpfosten die Rotationsausrichtung festzuhalten (Abb. 11–13).

Parallel zur gedeckten Einheilung wurde labortechnisch eine langzeitprovisorische Implantatkrone hergestellt, um diese gleich bei der Freilegungsoperation des Implantates einzusetzen. Hierzu wurde die SICAT-Bohrschablone auf das Hartgipsmodell platziert. Es handelte sich hierbei um dasselbe Modell, welches zur Herstellung der Röntgenschablone gedient hatte. Mit einem 4-mm-Bohrer wurde ein Implantatkanal gebohrt (Abb. 14). Der Implantatanalog-Einbringpfosten-Bohrschabonen-Komplex wurde auf das Modell gesetzt. Hierbei erfolgt eine Gleichschaltung der Rotationssicherung anhand
einer Positionierungsrille eines speziellen Laboranalog-Einbringpfosten, welche in die Nut der Masterhülse greift (Abb. 15). Diese gewährleisteten auch hier die korrekte ­Rotationsausrichtung des Laboranalogs gleich zu jener im Mund. Wie bei der Implantation im Mund wurde das Implantatanalog samt Analog-Einbringpfosten platziert und mit Autopolymerisat fixiert (Abb. 16).
Der Zahntechniker hat nun das ursprüngliche Planungsmodell in ein „Meistermodell“ überführt. Ein provisorischer Aufbau wurde auf dem Analogpfosten aufgebracht, auf die korrekte Höhe zugeschnitten, abgeschrägt und mit zahnfarbenem Lack opakisiert. Die provisorische Krone aus einem Kunststoff für provisorische Aufbauten, wurde gemäß des zuvor hergestellten Wax-ups um den gekürzten und abgeschrägten provisorischen Aufbau ­herum modelliert (Abb. 17). Die Verschraubung bleibt ­vertikal offen. Der Schraubenschacht wird nach dem ­Einsetzen mit zahnfarbenem Komposit verschlossen.

Im Vergleich zu einem konfektionierten Gingivaformer hat diese provisorische Implantatkrone einen entscheidenden Vorteil: Gingivaformer besitzen einen runden Durchmesser, welcher jedoch nicht kongruent zu der natürlichen, immer individuellen Anatomie des Zahnquerschnitts ist. Einen ästhetischen Übergang zwischen Abut­ment und Gingivasaum zu erreichen oder gar eine natürliche Zahnfleischpapille, ist dann eher zufällig. Anders ist es mit einem individuell vor der Freilegung bereits gefertigten Langzeitprovisorium, welches physiologisch geformt ist und einen idealen Reiz für die Ausformung des Zahnfleischsaumes darstellt. Auf diese Weise lässt sich idealerweise bereits unmittelbar ab der Freilegung des Implantats die Struktur der Weichgewebe optimal einstellen (Weichgewebsmanagement) (Abb. 18 und 19). An dieser Stelle wurde der Fall an den überweisenden Hauszahnarzt zurückgeleitet. Der Vorteil eines sicheren Langzeitprovisoriums für die Phase der prothetischen Herstellung der definitiven Implantatkrone ist das leichte und stabile Handling (mehrfaches Abnehmen des LZPs zu Abformungen, Bissnahme und Anproben möglich). Die weiteren Schritte erfolgten durch den Überweiser.
Nach guter Weichteilausformung durch das Langzeitprovisorium bestand der nächste Schritt in der Anfer­tigung der endgültigen Krone (Abb. 21). Bei der Her­stellung des definitiven Abutments und der endgültigen Krone kam mit einer Modifikation das sogenannte Encode®-Verfahren von Biomet 3i zum Einsatz.

So war es möglich, die im Vorfeld gut vorbereitete Gingiva zu optimieren und ein natürliches Emergenzprofil zu gestalten. Das Abutment sowie die Zirkoniumoxidkappe wurden nach den Vorgaben individuell mittels CAD/CAM-Verfahren gefräst. Abbildung 22 stellt das CAD/CAM-Abutment und Käppchen direkt nach Anlieferung dar. Es folgte schließlich die (Abb. 25) Eingliederung der endgültigen Krone. Das Ziel, eine funktionell und ästhetisch optimale Lösung, war ereicht.

Resümee

Eine Frontzahnlücke Regio 22 wurde bei einer Patientin implantologisch versorgt. Aus ästhetischen Gesichtspunkten stellt die Frontzahnregion ganz besonders hohe Anforderung an den Implantologen in Bezug auf die Navigation und das Weichgewebsmanagement. Das Zusammenspiel zwischen präimplantologischer Planung und Guided-Surgery-Prozedur entwickelt sich mittlerweile zum Goldstandard. Jedoch ist die Struktur des Weichgewebes und dessen natürliche Ausformung noch immer nicht der Regelfall. Im vorliegenden Fall ist allerdings gerade dies nun sehr zufriedenstellend erreicht worden. Maßgeblich waren hier die schonende, minimal­invasive Behandlung des Weichgewebes (vorsichtige Dehnung statt größerer chirurgischer Inzision) und die möglichst frühzeitige, aktive Ausformung des Emergenzprofils. Das Ergebnis zeigt eine nicht nur optimal geformte Zahnkrone, sondern vor allem auch ein vollkommen natürliches, ästhetisch verlaufendes Gingivaprofil. Im vorliegenden Fall wurde die ästhetisch aussehende Krone mit einem natürlich verlaufenden Weichteilprofil durch Erhaltung des Gewebes nach der Extraktion und initialer Ausformung der Gingiva direkt ab Freilegung des Implantates ermöglicht. Der Schlüssel zum Erfolg war hier die individualisierte computer- bzw. robotikgestützte, präzise Herstellung der einzelnen Komponenten (Abutment und Kappe) und die Verwendung möglichst hochwertiger, natürlich aussehender Materialien (Zirkonoxid, Schichtkeramik).

Ich bedanke mich für die Unterstützung bei Dr. Petra Schumacher, den Zahntechnikern Maja Fiur und Christoph Buhl sowie Dipl.-Biol. Nicole Drinkuth für die Hilfe, Vorbereitung und Durchführung der Patientenbehandlung.

Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.